Ausgabe September / Oktober / November 2019 – Walter Ittner, Ansbach

Wollen Menschen überhaupt mitmachen?
Leider sieht die Wirklichkeit manchmal anders aus: Menschen besuchen oft am liebsten die Gruppen und Kreise, wo ihnen von anderen ein gutes Veranstaltungsgebot geboten wird und etwas für sie getan wird. Das lässt sich schon verstehen. Aber von da ist es oft nicht mehr weit zu einer passiven Erwartungshaltung an ein tolles christliches Programm, das für sie abgespult wird.

Von daher steht für mich am Anfang die Frage: Wollen Menschen überhaupt beteiligt wer- den? Wie gehen wir mit denen um, die nur bedient wer- den wollen? Oder genauso auch umgekehrt. Vielleicht würde sich der eine oder andere gerne einbringen, aber es sind keine Freiräume und Experimentierfelder da, wo er dies auch tun könnte.

Vor einigen Jahren formulierte Götz Werner – der Gründer der Drogeriekette dm – im Blick auf seine Mitarbeiter: „Alle Menschen sind bereit, was zu tun. Das ist meine schlichte Erfahrung. Wenn der Mensch in seiner Arbeit einen Sinn erfährt und etwas für andere tun kann, dann ist er erfüllter und produktiver“. Wenn sogar die weltlichen Manager in unseren Firmen so etwas sagen, gilt das meiner Meinung nach umso mehr in der christlichen Gemeinde.

Die Frage nach dem Warum
Die wichtigste Frage, die wir den Menschen beantworten müssen, die wir zur Beteiligung motivieren wollen, ist die Frage nach dem „Warum?“ Warum soll ich bei Euch mitmachen? Welchen Sinn hat es? Oder mit den bekannten Worten von Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“.

Darum hat die Frage nach der Beteiligung immer auch mit der Grundfrage zu tun: Wofür sind wir als Gemeinde Jesu da? Wozu gibt es uns als Landeskirchliche Gemeinschaft vor Ort? Meine persönliche Antwort lautet: Wir sind nicht zuerst für uns da. Gemeinde ist kein Selbstzweck, sondern ist Gemeinde unseres Herrn. Für ihn sollen wir leben und ihm dienen. Und wir sind als Gemeinschaften für die Menschen da, die noch nicht zu uns kommen, wir sind gesandt in diese Welt, um Menschen für Jesus zu gewinnen und ihnen zu dienen. Und dann sollen diese Menschen in eine lebendige Gemeinschaft eingebunden werden, in denen sie gemeinsam ihren Glauben teilen, darin wachsen und mit ihren Gaben dienen können.

Was ist dann der Sinn der Mitarbeit in einer konkreten Gemeinschaft vor Ort? Im Letzten müssen Mitarbeiter den Sinn ihrer Engagements in Jesus finden. Das ist die einzige frustrationsresistente Basis für Mitarbeit. Oder mit den Worten des Apostel Paulus: „Seid fest und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. (1. Kor. 15,58).

Mitmachen ist Einladung zur Gemeinschaft
Aber Mitarbeit in der christlichen Gemeinde heißt nicht nur, dass ich Jesus diene. Ich diene auch anderen. Und etwas für andere zu tun, befriedigt auf Dauer immer mehr, als sich immer nur bedienen zu lassen. Auch das gibt Sinn und eine Befriedigung, die einen Menschen verändert. Oder ganz zugespitzt gesagt: „Entweder du hast eine Aufgabe, oder du wirst zur Aufgabe“.

Menschen sind weiterhin dazu bereit mitzumachen, wenn sie zur Gemeinschaft untereinander eingeladen sind. In der anglikanischen Kirche von England wurde vor Jahren der Ausspruch geprägt: „Belonging before believing“ (sinngemäß etwa: „Dazugehören kommt vor dem Glauben“). Damit haben sie die Beobachtung ausgedrückt, dass früher der normale Weg war, dass Menschen durch missionarische Veranstaltungen zum Glauben kamen, sich danach zur Gemeinde zählten und dann später sich auch mit ihren Gaben einbrachten. Ihren Beobachtungen nach ist dies heute oft umgekehrt. Menschen werden angezogen durch eine lebendige Gemeinschaft. Bringen sich ein, indem sie mithelfen können und dürfen. Und dann erst – im Laufe eines längeren Prozesses – finden sie zum Glauben. Die Erklärung dafür war, dass heute der „geistliche Grundwasserspiegel“ viel niedriger ist wie noch in vergangenen Generationen und der Weg heute oft ein längerer und manchmal auch anderer ist. Gans klar ist: Wir können Menschen nicht auf Dauer zum Mitmachen gewinnen, wenn dies nur aus Sympathie für uns geschieht. Von daher müssen wir Menschen, die wir zum Mitmachen einladen, immer auch zu Christus einladen. Umgekehrt gilt aber auch: Niemand kann im Glauben wirklich wachsen, wenn er sich weigert mitzuarbeiten.

Jeder diene mit seiner Gabe
Menschen bekommen aber mehr Freude am Dienst für Gott und für andere, wenn sie dies im Einklang mit ihren Neigungen, Gaben und ihrer Persönlichkeitsstruktur tun. Nicht jeder kann alles. Aber jeder Christ hat mindestens eine Gabe erhalten, mit denen er Gott und den anderen dienen kann. Zu oft benutzen wir Menschen nur um die Lücken in unseren Gemeindeaufgaben zu stopfen. Je mehr wir jedoch den Menschen in unseren Gruppen und Kreisen helfen diese zu entdecken und auch mal auszuprobieren, desto mehr Freude werden sie erleben. Und haben es leichter den für sie richtigen Platz der Mitarbeit in der Gemeinde zu finden.

Menschen wollen gefragt werden
Weiter gilt: Menschen arbeiten da gerne mit, wo sie gefragt und begleitet werden. Hauptamtliche, Gemeinschaftsräte und andere Verantwortliche sind fröhliche Bettler: „Komm mach mit, komm arbeite mit, komm diene mit …“. Wichtig sind hier auch Freiräume, wo man Dinge auch mal ausprobieren kann und dabei auch fröhlich Fehler machen darf. Wie oft ist falsch verstandener Perfektionismus in unseren Gemeinschaften der Tod für die Motivation in der Mitarbeit.

Ja länger ich in der Gemeinde Jesu unterwegs bin, desto mir ist mir klar: Wenn andere ermutigt werden zur Beteiligung werden nicht nur die entlastet, die sich einbringen, sondern die Gemeinde wird bunt. Gerade dann, wenn wir nicht nur die Arbeit teilen, sondern auch die Macht und die Verantwortung.