Ausgabe September / Oktober / November 2018 – Pfr.i.R. Dr. Karl Eberlein, Roth

»Einladend leben?« das ist ein wichtiges Ziel für uns als LKG. Aber dazu ist es auch wichtig sich immer wieder auch der Sicht von außen zu stellen und Menschen, die mit uns auf dem Weg sind zu hören, in ihrer Sicht auf unsere Gemeinschaften.

 

Ohne diese Wahrnehmungen „von außen“, die uns spiegeln, wie wir auf sie wirken, wird es schwer sein, dem Ziel der „einladenden Gemeinde“ näher zu kommen. Gut, wenn man vor Ort „faire Kritiker“, „wohlwollende Denker“, Menschen mit Gespür für Zwischentöne und Atmosphäre, achtsame Beobachter unserer Kultur gibt, die uns nicht nach dem Mund reden. Beispielhaft für solche Menschen, die wir uns vor Ort suchen müssen, hat Christian Hertel ein paar Fragen an Pfarrer i.R. Dr. Karl Eberlein gestellt. Er war viele Jahre Pfarrer in Roth und Mitglied der Landessynode unserer Kirche.

Dr. Eberlein, wie haben Sie landeskirchliche Gemeinschaften (LKGs) bisher erlebt? Was gefällt Ihnen, was finden Sie eher fragwürdig?

Mit LKGs habe ich seit meiner Jugendzeit unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Das gilt nicht nur für die großen Gemeinschaftsverbände, wo ja die Puschendorfer, die Hensoltshöher und die Liebenzeller durchaus ein je eigenes Gepräge haben. Es kann auch innerhalb des gleichen Verbands von Ort zu Ort recht unterschiedlich zugehen. Mir gefällt, wenn ich Menschen begegne, die ihrem durch die Taufe begründeten Christsein eine größere Verbindlichkeit geben möchten und dazu auch eine intensivere Form der Gemeinschaft suchen. Eine solche Art, dem Glauben Lebendigkeit und Gestalt zu verleihen, kann sehr überzeugend und einladend wirken. In dieser Weise ist von den LKGs auch schon viel Segen ausgegangen.

Davon unterscheiden möchte ich exklusive Einstellungen, die es nach meiner wiederholten Erfahrung in den LKGs (leider) auch gibt. Da wird dann unterschieden zwischen wahren Christen und Namenschristen, zwischen Bekehrten und Nichtbekehrten usw. Ich halte es da eher mit Martin Luther, der im vierten Hauptstück des Kleinen Katechismus Bekehrung nicht als einen einmaligen Akt, sondern als einen tagtäglich(!) zu vollziehenden Vorgang des Übergangs vom alten zum neuen Adam begreift. So kann man dann auch nicht mehr Bekehrtsein als einen Status verstehen, den es gegenüber anderen Kirchengliedern zur Geltung zu bringen gilt. Dieses Einstellungsmuster hat häufig genug das Verhältnis zwischen örtlichen Kirchengemeinden und LKGs schwierig werden lassen. Anders ist es, wenn nicht ein exklusives Heilsbewusstsein, sondern die Bemühung um eine Intensivierung des Christseins im Vordergrund steht. Dann ergeben sich viele Beziehungslinien zu den örtlichen Kirchengemeinden. Und diese tun dann auch gut daran, den Dienst der LKGs als eine wesentliche gesamtkirchliche Bereicherung zu würdigen.

Was halten Sie von der Entwicklung vieler Gemeinschaften vom Anbieter ergänzender Veranstaltungen hin zur Gemeinde mit Vollversorgung?

Vom Grundsatz her bin ich ein Anhänger des Ergänzungsmodells, weil ich hierin Vorteile sowohl für die LKGs als auch für die örtlichen Kirchengemeinden sehe. Die LKGs können auf diese Weise ihre Kräfte bündeln, wenn es um die Weitergabe des Glaubens geht. Und je mehr sie ins gesamtkirchliche Leben eingebunden sind, desto breiter kann auch die Resonanz bzw. die Öffentlichkeitswahrnehmung sein. Das ist nicht zuletzt auch im Hinblick auf suchende Zeitgenossen wichtig, die ja erst einmal in Erfahrung bringen müssen, wohin sie sich überhaupt wenden können. Dieses Ergänzungsmodell kommt ebenso den Ortsgemeinden zugute, indem die LKGs Teil eines organischen kirchlichen Ganzen bleiben. Gerade auch das ehrenamtliche Engagement vieler Glieder der LKGs in den jeweiligen Ortsgemeinden war oftmals ein unverzichtbarer Bestandteil des örtlichen Gemeindelebens.

Nun muss ich freilich einräumen, dass eben dieses Ergänzungsmodell häufig genug so nicht funktioniert hat. Erhebliche Differenzen in der Vorstellung von Christsein, aber auch schlicht und einfach menschliche Unzulänglichkeiten und Eifersüchteleien auf beiden Seiten haben sich hinderlich ausgewirkt. Nach meinem Eindruck hat all dies wesentlich (wenn auch nicht allein) seitens der LKGs das Modell der Vollversorgung befördert. Sicher kann man auch grundsätzlich Vorteile darin sehen, wenn die LKGs mit der Vollversorgung gegenüber den Ortsgemeinden eine größere Eigenständigkeit aufweisen. Dass freilich die LKGs eben dadurch ihrerseits in eine Verzettelung der Kräfte hineinschlittern können (wie es in den volkskirchlichen Ortsgemeinden häufig genug der Fall ist), scheint mir eine reale Gefahr zu sein.

Wie auch immer: Ich wünsche mir jedenfalls, dass die Ortsgemeinden und die LKGs nicht einfach in einer Art organisatorischer Doppelstruktur nebeneinander her wirken, sondern bei aller Eigenständigkeit aufeinander bezogen bleiben und in dieser Weise sich wechselseitig ergänzen und bereichern als Glieder am gleichen Leib Christi. Nach wie vor ist es ja auch so, dass in der Regel die Glieder der LKGs zugleich Glieder der jeweiligen Ortsgemeinde sind. Das sollte nicht nur eine rein formale Festlegung sein.

Haben Sie den Eindruck, dass in der Landeskirchlichen Gemeinschaft im Blick auf unseren Verband hauptsächlich der suchende Mensch mit seinen Fragen im Mittelpunkt ist, oder geht es mehr um Versorgung der Anwesenden und Selbstbeschäftigung?

Nun ja, ich sehe das nicht unbedingt im Gegensatz, sondern eher als zwei Pole. Ein gewisses Maß an Binnenorientierung („Selbstbeschäftigung“) halte ich für unerlässlich. Geistlich geht es dabei um die Vergewisserung des Glaubens. Ebenso gilt es freilich, über eigene Tellerränder hinauszuschauen. Dabei entdecke ich bei den „Puschendorfer“ Gemeinschaften ein sehr ernsthaftes Bemühen, wenn man etwa an die in verschiedenen Veranstaltungen präsentierten Themen denkt. Allerdings rate ich persönlich dazu, nicht allzu pauschal von „dem“ suchenden Menschen und seinen Fragen zu reden. In unserer religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft haben wir eine Vielgestalt von Suchbewegungen. Das erfordert kirchlicherseits ein genaues Hinschauen und ein gutes Differenzierungsvermögen. Dabei können wir etwa beim Apostel Paulus in die Schule gehen, der sich sehr genau auf seine jeweils sehr unterschiedlichen Gesprächspartner eingestellt hat.(vgl. 1. Kor. 9,20ff). Vielen Dank, für Ihre Wahrnehmungen und Anstöße!