Ausgabe Juni / Juli 2017 – Bernhard Kaiser, Reiskirchen Institut für Reformatorische Theologie

 

Das Augsburgische Bekenntnis – lateinisch: Confessio Augustana – wurde am 25. Juni 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg vor Kaiser Karl V. verlesen. Das war der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die sich in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts Bahn gebrochen hatte und die wir mit dem Begriff Reformation benennen.

 

Weil Religion und Politik beziehungsweise Kirche und Staat in jener Zeit nicht getrennt waren, sondern eine symbiotische Einheit bildeten, war die Reformation nicht nur ein akademisches oder kirchliches Ereignis, sondern sie war von höchster politisch-rechtlicher Bedeutung.

Hat die schriftgemäße Predigt einen Platz?
Im Grunde ging es um die Frage, ob eine schriftgemäße, evangelische Predigt einen Platz im Deutschen Reich haben könne oder nicht. Die römische Kirche hatte sich schon im Jahre 1520 geäußert, indem sie Luther exkommunizierte. Die politische Bedeutung der Reformation wurde bald darauf offenbar, als Luther – damals als Einziger – vor dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521 unter Berufung auf die Heilige Schrift einen Widerruf verweigerte. Der Kaiser verfügte daraufhin das Wormser Edikt, das Luther ächtete und ihm den Schutz des Reiches entzog. Trotzdem wurde Luther nicht umgebracht, denn sein Landesherr Friedrich der Weise schützte ihn, und die Reformation konnte sich weiter ausbreiten. Mehrere deutsche Fürsten und Reichsstädte begannen, formell ihre Kirchen zu reformieren. Auf dem Reichstag zu Speyer im Jahre 1526 waren es mehrere deutsche Fürsten, die dem Kaiser das Zugeständnis abtrotzten, in Sachen der Religion es so zu handhaben, wie man es in seinem Gewissen vor Gott und dem Kaiser verantworten könne. Sie verstanden dies als Ermächtigung, in ihren Gebieten evangelische Kirchen einzurichten. Der Kaiser stand von verschiedenen Seiten unter Druck und konnte sich mit der Durchführung des Wormser Edikts nicht durchsetzen. Als er drei Jahre später (1529) meinte, den Freiraum dazu zu besitzen, protestierten die evangelischen Stände unter Führung des Kurfürsten Johann des Beständigen von Sachsen auf dem Reichstag in Speyer. Damit war klar: Die Reformation hatte mächtige Fürsprecher und war ein ernstzunehmender Faktor im Reich. Ebenso war klar, dass das Reich nun nicht mehr nur eine Kirche hatte, sondern wenigstens zwei.

Was ist evangelisch?
Was aber machte den evangelischen Glauben aus? Was lehrten und glaubten die Protestanten? Dies wurde erstmals vor Kaiser und Reich in Gestalt des Augsburgischen Bekenntnisses vorgetragen. In diesem Bekenntnis fließen mehrere Äußerungen protestantischer Theologen zusammen: die Schwabacher, Marburger und Torgauer Artikel, die zum Teil die zentralen Aussagen des evangelischen Glaubens formulieren, zum Teil die Unterschiede in Fragen des kirchlichen Lebens darstellen. Ebenso flossen Melanchthons „Unterricht der Visitatoren“ (1528) und Luthers Bekenntnis am Abschluss seiner Schrift „Vom Abendmahl Christi“ (1528) in die CA ein. Luther selbst konnte wegen der Reichsacht nicht am Reichstag teilnehmen, so dass seinem Mitarbeiter Melanchthon die Aufgabe zukam, die Endgestalt der CA zu redigieren. In 21 Artikeln, die den ersten Teil der CA bilden, werden klar und prägnant die Inhalte des evangelischen Glaubens dargestellt. Im zweiten und längeren Teil werden in weiteren 7 Artikeln die Unterschiede zwischen dem römischen und dem evangelischen Glauben beschrieben. So sehr Melanchthon bemüht war, mit den Katholiken zu einer Einigung zu finden, so wenig akzeptierte der Kaiser das neue Bekenntnis. Karl V. bestätigte auf den Reichstag das Wormser Edikt, so dass die protestantischen Stände nach wie vor als rechtswidrig galten. Wegen der Bereitschaft des Kaisers, den Konflikt in der Religionsfrage mit militärischen Mitteln zu lösen, schlossen den protestantischen Fürsten in der Folge (1531) den Schmalkaldischen Bund als Verteidigungsbündnis. Die brisante Lage des erwachenden Protestantismus wird aus dieser Entwicklung erkennbar. Immerhin aber konnte sich so der Protestantismus in der Bildung evangelischer Kirchen nach dem Standard der CA und unter dem Schutz der Fürsten ausbreiten und konsolidieren.

Protestanten sprechen nicht mit einer Stimme
Ein Problem war, dass der Protestantismus nicht mit einer Stimme sprach. Wegen der theologischen Differenz in der Abendmahlsfrage versuchte Melanchthon, der sich als Autor der CA verstand, diese weiterzuentwickeln. Im Jahre 1540 wurde eine geänderte Version formuliert, die interessanterweise die Zustimmung sowohl Luthers als auch Calvins fand. Während die unveränderte Fassung im 10. Artikel („Vom heiligen Abendmahl“) die wahrhaftige Gegenwart („vere adsint“) des Leibes und Blutes Christi unter der Gestalt von Brot und Wein bekennt, verweist die veränderte Fassung auf das Geschehen bei Abendmahl, nämlich dass denen, die am Abendmahl teilnehmen mit Brot und Wein Leib und Blut Christi „vorgestellt“ beziehungsweise „ausgegeben“ werden („vere exhibeantur“). Da in folgenden Jahren die Lutheraner die Übermacht hatten und auch ein polemisches Interesse gegenüber den Reformierten verfolgten, wurde beim Reichstag in Augsburg im Jahre 1555 die unveränderte Version festgeschrieben. Das bedeutete, dass die Reformierten (bis zum Westfälischen Frieden 1648) vom Reichsfrieden ausgeschlossen waren. Die Chance auf eine Einigung war vertan und die konfessionellen Gräben waren so tief, dass die Lutheraner lieber mit den Katholiken als den Reformierten Gemeinschaft haben wollten. Die Folgen dieser Spaltung wurden im Dreißigjährigen Krieg sichtbar und waren verheerend. Erst mit der Leuenberger Konkordie von 1973 wurde eine Einigung erzielt, die theologisch der geänderten Version der CA folgt. Bis heute und gerade in einer Zeit theologischer Beliebigkeit sollte jeder, der als evangelischer Christ leben möchte, sich vom Augsburgischen Bekenntnis raten lassen, denn man wird lange suchen, um etwas Schriftwidriges darin zu finden.