Ausgabe Juni / Juli / August 2021 – Tobias Wagner

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!“ Während das für Schüler und Studenten, für Azubis an Berufsschulen und viele Teilnehmer von Fortbildungen und Volkshochschulkursen unstrittig ist, wird in christlichen Kreisen die Lehre sowohl im Gemeindeleben wie auch im Alltag der Gläubigen immer mehr an den Rand gedrängt. Wenn es über einen Prediger heißt er „predige lehrhaft“ ist das oft nur eine Umschreibung für „theoretisch“, „langweilig“ und „alltagsfern“. Natürlich gibt es Predigten, auf die diese Beschreibung zutrifft. Aber oft scheint es mir nur eine billige Ausrede zu sein, um sich nicht mit einer herausfordernden Botschaft, die Mitdenken benötigt und einen Glaubensinhalt behandelt, dem man persönlich keinen hohen Stellenwert zumisst, auseinandersetzen zu müssen. Gefragt ist scheinbar nur das, bei dem man das Gefühl hat, „etwas mitnehmen zu können“. Was das sein soll, bleibt oft im subjektiven Nebel der Gefühle des Gläubigen verborgen.

Jesus sieht das ganz anders. Er befiehlt seinen Jüngern das Evangelium „taufend“ und „lehrend“ weiterzutragen (Mt. 28,19.20), also „zum Glauben rufend“ und „den Glauben erläuternd und vertiefend“. Das Zweite ist eine lebenslange Aufgabe. Billy Graham drückte es mal so aus, dass es 5% an Zeit und Kraft braucht, um einen Menschen zu Jesus zu führen, aber 95%, um ihn bei Jesus zu halten. Die Wiedergeburt ist der Start in das ewige Leben. Damit beginnt der lebenslange Lern- und Wachstumsprozess, bestehend aus guter biblischer Lehre und lebendigem Glaubensleben in Gemeinde und Alltag. So ist die Verbindung aus wahrer Lehre und lebendigem Glaubensleben das Erfolgsrezept der Jerusalemer Urgemeinde (Apg. 2,42). Über die erst wenige Tage bestehende Gemeinde in Beröa heißt es: „sie nahmen das Wort bereitwillig auf und forschten täglich in der Schrift [das Alte Testament], ob sich’s so verhielte.“ (Apg. 17,11).

Das phänomenale Wachstum der Gemeinde Jesu startete an Pfingsten mit 3000 Getauften. Heute, knapp 2000 Jahre später sind es nominell über 2 Milliarden (2.000.000.000). Dieses Wachstum war nur durch konsequente Mission möglich, das bedeutet der Kombination aus Evangelisation, Glaubenseinladung und Lehre (Glaubensvertiefung). Die erste Gemeinde war geprägt durch tiefe biblische Lehre, Gebet und Gemeinschaft und das jeden Tag, stundenlang (Apg. 2,42-47). Wer würde das heute mitmachen wollen oder praktisch können? Wer immer noch nicht glaubt, dass die Lehre diesen wichtigen Stellenwert für die Gemeinde Jesu hatte, soll sich die biblischen Schriften, die wir aus der Zeit der ersten Christen haben, anschauen. Das sind mal sehr pauschal gesagt, zur Evangelisation die Evangelien und zur Glaubensvertiefung (zur Lehre) die Briefe! Wobei natürlich gerade auch die Evangelien sehr viel Lehre Jesu enthalten. Lehre, von der Jesus im Missionsbefehl forderte: „(…) lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Mt. 28,19). Die Zuhörer damals waren von Jesu Lehre tief betroffen (Mk. 1,22). Es wird ganz deutlich: Jesus erwartet, dass seine Nachfolger seinen Willen kennen und tun! So betont Jesus z.B. am Ende der Bergpredigt (Mt. 5-7) „Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ (Mt. 7,24). Und die Reaktion der Zuhörer auf die Bergpredigt: „Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre;“ (Mt. 7,28). Das war damals und ist bis heute harte Kost! Warum ist es so wichtig, die ganze Bibel zu kennen, auch tiefere Zusammenhänge zu erforschen und schwierige Gedankengänge nachzuvollziehen? Weil wir als Christen den Anspruch haben, in einer kindlichen und freundschaftlichen Beziehung mit Gott zu leben. In Jesus wird Gott Mensch und kommt zu uns. Desgleichen offenbart er sich und seinen Willen in seinem Wort, der Bibel. Ich kann nicht Jesus lieben und gleichzeitig sein Wort vernachlässigen. So wie es in einer menschlichen Beziehung nicht reicht, immer wieder nur den Namen des Gegenübers zu wiederholen oder zu betonen, dass man einander verbunden ist. Das ist keine echte Beziehung. Diese besteht darin, dass man sich kennenlernt. Was denkt der andere, wie sieht er die Welt, was stört ihn an mir und wie stellt er sich unser Miteinander heute und morgen vor? Man nähert sich dem anderen an, bleibt an ihm, selbst wenn es mal schwerfällt oder man sich gerade nicht so zu ihm hingezogen fühlt. Man wächst sozusagen mit ihm zusammen. Das macht eine lebendige, gesunde Beziehung aus. Genau das macht auch unsere Beziehung mit Jesus aus (Joh. 15,1-11). In 2. Tim. 3,16.17 stellt Paulus fest, wie wichtig es ist, die ganze Bibel zu kennen und ihr zu glauben:

„Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen. So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift alen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“ (NGÜ).

Die Lehre ist der Dünger, durch den ein Glaubensleben aufblühen und Frucht bringen kann. Sie ist das Fundament, auf dem die Gemeinde steht (Eph. 2,20). Biblische Lehre ist nicht trockene Theorie, die alle zum Gähnen bringt, sondern in ihr lerne ich Gott kennen, lerne mich und die Welt verstehen und werde ausgerüstet, im Alltag zur Ehre Gottes zu leben. Sie ist das „Schwert des Geistes“ (Eph. 6,17) und der Schatz, für den ein Leben nicht ausreicht, ihn zu heben (Mt. 13,52).

Ich halte es für sehr wichtig, dass wir tatsächlich möglichst „alles, was in der Schrift steht“ versuchen, in der biblischen Lehre zu bedenken. Damit wird drei falschen Betonungen in der Lehre und im Glaubensleben vorgebeugt:

  1.  „Rosinenpickerei“. Man könnte auch sagen Einseitigkeiten oder Lieblingsthemen. Im persönlichen Glaubensleben führt das zu einer Verarmung der Beziehung zu Jesus; oft auch zu einem Missverstehen seines Wirkens, wenn ich scheinbar unbequeme Aspekte der biblischen Lehre außen vorlasse. Gemeindlich gesehen haben viele Irrlehren und Sekten mit Einseitigkeiten und Überhöhungen einzelner Gedanken biblischer Lehre begonnen (1. Tim. 4,1-10).
  2. „Kopfglaube“. Das, was man aus dem Wort Gottes lernt, bleibt nur Theorie. Entweder, weil mir die Anleitung zur praktischen Umsetzung fehlt, oder weil ich mich scheue, meine Überzeugung, die ich in der Lehre gewonnen habe, dem „Test der Zeit“ auszusetzen. Manchmal kann das so weit führen, dass man in „Selbstgerechtigkeit“ abdriftet, „ich habe ja die richtige Lehre“ und es mit meinem alltäglichen Leben kaum noch Überschneidungen gibt. Es kann zu Gesetzlichkeit und Heuchelei führen (z.B. Mt. 23,13-36). Dann geht es nur noch um meine richtige Erkenntnis, meinen Maßstab an andere und meine Versuche, diesem Bild nach außen auch gerecht zu werden. Es geht nicht mehr um die gelebte Beziehung zwischen Gott und mir.
  3. „leerer Glaube“. Ohne Lehre herrscht Leere. Der Glaube hat keinen Grund, kein Fundament, keinen Halt. Jesus vergleicht das im Gleichnis vom Sämann mit dem felsigen Boden. Solange es sich gut anfühlt, gibt es scheinbares Wachstum. Aber das Wachstum geht nicht nach unten, in die Tiefe und kann deswegen nicht bestehen, wenn die Sonne es schwer macht und der Wind ins Gesicht bläst (Mk. 4,5.6). Dieser scheinbar so alltagspraktische Glaube, der die viel zu „theoretische Lehre“ meint nicht nötig zu haben, ist genau das Gegenteil davon. Im „Test der Zeit“ mit Zweifeln, Prüfungen und Anfechtungen hat er keinen Bestand, weil ich Gott eben nicht kenne, sondern nur meine Vorstellung von ihm und seinem Handeln. Die gesunde Lehre fehlt! (Tit. 2,1).

„Will bei dir zur Schule gehen“ singt Beate Ling in einem Lied. Das dürfen und brauchen wir, damit unser Glaube lebendig, belastbar und wahrhaftig ist. Unser Schulbuch ist die Bibel. Und sie ist nicht nur ein Buch, sondern der Fels, der den Sturm der Zeit übersteht (Mt. 24,35). Viel Spaß beim Lernen!