Ausgabe Dezember 2022 / Januar / Februar 2023 – Alexander Pauli, Hersbruck

Jesus zum Herrn und König zu haben ist schnell gesagt oder gesungen. Da wir in unserer Kultur aber weder Erfahrungen mit Herren noch mit Königen haben, können diese Begriffe leicht zu Worthülsen werden. D.h., dass wir Jesus aus Gewohnheit so nennen, aber Probleme haben, uns darunter wirklich etwas vorzustellen. Durch die Betrachtung zweier Bibeltexte möchte ich versuchen, unser Verständnis von Jesus als unseren Herrn und König zu vertiefen.

In Vorbereitung auf diesen Beitrag sind folgende Texte zu lesen: Mt 21,1-11 & 2.Sam 6. Beiden Texten ist gemein, dass jeweils ein König nach Jerusalem einzieht und mit ihm Gott. Doch neben den Gemeinsamkeiten gibt es auch auffällige Unterschiede. Beides ist höchst erhellend.

1. Ein unbegreiflicher Gott zum Anfassen

David war ein König, der viele militärische Erfolge hatte. Er vereinigte Nord- und Südreich und befreite Jerusalem aus der Hand der Feinde. Er wollte die Fremdherrschaft über Jerusalem nicht nur auf militärischer Ebene brechen, sondern auch auf religiöser. So entschloss er sich das Heiligtum Gottes in das Zentrum seines Reiches zu holen, um Jerusalem vom fremden Glauben zu befreien und es zum Mittelpunkt der Verehrung des Gottes Israels zu machen. Wir lesen davon, dass, noch bevor die Bundeslade in Jerusalem ankam, sie abstürzte, dass Usa versuchte, sie eigenhändig davor zu bewahren und von Gottes schier unbegreiflicher Intervention, der Usa aus Zorn an Ort und Stelle erschlug. Das ist eine dieser Bibelstellen, die jeden Leser stocken lässt und in Erklärungsnöte bringt. Mit was für einem Gott haben wir es hier zu tun? Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Berühren der Lade ausdrücklich verboten war, wegen Gottes Gegenwart auf der Lade. Dennoch erscheint Gott unfassbar grausam. Wollte ich nun anfangen diese Szene zu erklären, mit der Absicht, Gott in Schutz zu nehmen, wäre das fast wie Usas Versuch die Lade davor zu bewahren, in den Schmutz zu fallen. Es scheint mir das Gebot dieser Bibelstelle zu sein, Gott so unbegreiflich stehen zu lassen, anstatt ihn zurechtzurücken. Umso stärker ist der Kontrast, wenn wir Jesus betrachten, von dem es heißt, dass in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt (Kol 2,9). Fasste ihn jemand an und fiele tot um, würde das nur folgerichtig wirken. Aber es ist ganz anders: Bevor er Jerusalem erreicht, berührt eine blutflüssige Frau den Saum seines Gewandes (Mt 9,21) und statt zu sterben, wird sie geheilt und das macht sogar Schule (Mt 14,36). Ebenso berührt Jesus viele von sich aus und bewirkt damit Heilung.

Während 2.Sam 6 uns die Unfassbarkeit Gottes schockierend vor Augen malt und damit auch, wie wenig selbstverständlich es ist, dass ein Mensch sich Gott nähert, wird im Evangelium sichtbar, dass dieser Gott durch Jesus für Menschen ein Gott zum Anfassen wird. Diese Nahbarkeit wird ebenfalls durch Jesu Einzug in Jerusalem deutlich. Während die Lade durch eine pompöse Prozession nach Jerusalem gebracht wurde, ritt Jesus auf Augenhöhe mit dem „kleinen Mann“ auf einem Eselsfohlen. Gott hat sich um unseretwillen in Jesus selbst erniedrigt.

2. Der Segnende

Schon in 2.Sam 6 erweist sich Gott in mehr als einer Hinsicht als überraschend. David ergrimmte angesichts Gottes Gnadenlosigkeit gegen Usa und überlegte es sich prompt anders. Diesen Gott wollte er doch nicht in seiner Residenz. Stattdessen lagerte er die Lade, wie Gefahrengut, im Hause Obed-Edoms ein. Die ganz andere Überraschung kam binnen dreier Monate. Statt weiteren Schaden anzurichten (vgl. Usa bzw. Philister 1.Sam 5) entfaltete sie lauter Segen. Wir können uns in David hineinversetzen. Uns kann Gott genauso unheimlich sein. Wir erschaudern mit Blick auf manche Bibelstellen und bekommen Zweifel, ob es wirklich ungefährlich ist, diesen Gott in unser Leben hineinzulassen. Uns ist bewusst, dass Gott vollkommen unkontrollierbar und unzähmbar ist. Auch wir fragen uns, wie er Schreckliches zulassen (oder gar tun?) kann und ob er überhaupt etwas Gutes bringt oder ob er nicht doch eine Gefahr darstellt, die wir lieber nicht im eigenen Haus aufbewahren, sondern an einem sicheren Ort deponieren – in der Kirche zum Beispiel? Da könnten wir alle paar Sonntage einmal hingehen und ihn wie ein faszinierendes und gruseliges Exponat betrachten, uns dann aber wieder in unser sicheres Heim zurückziehen, wo wir alles unter Kontrolle haben.

David sah zuletzt ein, dass er sich selbst des Segens Gottes beraubte, wenn er sich von dem abschrecken ließ, was er nicht begreifen konnte. Wir können niemals einen harmlosen Gott bekommen. Ich will Gott Menschen lieb machen, aber nicht wie ein Wärme und Gesellschaft spendendes Haustier, das im schlimmsten Fall fusselt und noch nicht stubenrein ist. Mit Jesus holen wir uns Gott ins Leben, der das Haus für sich beansprucht und Herr und König ist. Über Jesus heißt es: „Die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Die ihn aber aufnahmen, wurden Gottes Kinder, sahen seine Herrlichkeit und empfingen Gnade (Joh 1,12-16). Dieser Segen entgeht uns, wenn wir ihn nicht in unser Leben aufnehmen und König sein lassen.

3. Der Niedrige

Zum Missfallen seiner Frau Michal erniedrigte sich David beim Einzug nach Jerusalem. Es passte nicht in ihr Bild eines erhabenen Königs. Davids Tanz war aber nicht nur Ausdruck von Freude und die Erniedrigung unbeabsichtigte Begleiterscheinung. Er macht sich bewusst klein vor Gott und den Menschen. Sein Königtum begriff er als etwas Vorletztes. Bei diesem Einzug ging es nicht um seine Macht und Ehre, sondern um die von Gott. Das war eine wesentliche Einsicht, so kurz nachdem das Volk sich von Gott einen König gewünscht und er diesen Wunsch gewährt hatte. David gedachte zukünftig sogar noch niedriger zu werden und dadurch bei den Mägden zu Ehren zu kommen. Die Augenhöhe mit den Niedrigen sollte seine Form der Ehre sein. Etwas, was sich bei Jesus auch, jedoch noch viel stärker findet. Sicher war das ebenso bei ihm als er in Jerusalem einritt, aber es sind sein ganzes Leben und Wirken, in denen er den Niedrigen, Armen, Schwachen und Ausgestoßenen stets den Vorrang einräumt. Seine Erniedrigung ist allein deshalb schon so viel stärker, weil er viel weiter oben begann. Es war nicht nur irdische Herrlichkeit, sondern göttliche Herrlichkeit, die er aufgab, um uns Menschen gleich zu werden. Dann aber nicht nur um unter ihnen der Erhabenste zu sein, sondern er wurde den Ärmsten gleich. (Phil 2,6-11 + 2.Kor 8,9) Außerdem reichte seine Erniedrigung noch viel tiefer. Es war nicht nur der Einsatz seiner Kraft für die Schwachen, sondern die Hingabe seines Lebens bis in den Tod für alle Menschen. Mit dem Einzug Jesu kommt ein Mensch und wird als König begrüßt, wie die Israeliten es sich gewünscht hatten und doch ganz anders. In ihm kommt nämlich Gott selbst wieder auf den Thron – nicht auf dieser Erde, sondern im Himmel, nicht nur über Israel, sondern über den gesamten Kosmos. Er bleibt aber dort nicht unerreichbar, sondern nimmt durch seinen Heiligen Geist auf dem Thron des Lebens eines jeden Platz, der ihn als Herr und König aufnimmt.