Ausgabe Februar / März 2017 – Alexander Pauli, Hersbruck

 

Angst ist ein schlechter Ratgeber, sagt man. Ich kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Ich weiß, dass die Angst immer gerne Ratgeber sein möchte. Angst hat einen Hang zur Dominanz und dazu, sich selbst zu wichtig zu nehmen.

 

Sie drängt auf den Chefsessel. Ich musste irgendwann feststellen, dass ich ihr das zu häufig zugestand und dass sie mich krank machte (wohl nicht im medizinischen Sinne, aber nach meinem eigenen Empfinden).

Angst oder Vorsorge?
Zunächst hielt ich meine Angst für Vernunft. „Vorausschauend, gefasst und realistisch“ wären wohl die drei Begriffe gewesen, mit denen ich mich selbst beschrieben hätte. Wenn ich heute zurückblicke oder mich wieder dabei ertappe so zu sein, würde ich dieselbe Einstellung wohl eher mit den drei Begriffen beschreiben: “problemfixiert, verkrampft und pessimistisch“ oder kurz: ängstlich. Auf die Schliche kam ich mir, als ich im Studium die unübersehbaren Auswirkungen von Prüfungsangst wahrnahm, die mich schon seit meiner Schulzeit begleitete. Im Theologiestudium intensivierten sich die Symptome. Schätzungsweise, weil es hier um die Dinge ging, die mir wichtig waren und mit denen ich mich für mein ganzes weiteres Leben qualifizieren wollte. Während andere Prüfungen als Gelegenheit verstanden zu zeigen was sie gelernt hatten, empfand ich sie immer als drohende Möglichkeit zu versagen. Die Hände schwitzten, das Herz raste, die Muskeln zuckten und die Toilette rief, als hätte ich sämtliche Wasservorräte der Erde getrunken. Wer unter solcher Anspannung eine Prüfung schreibt, entfaltet natürlich nicht sein volles Potential und so sorgte die Angst selbst für ihre Begründung. Ich war zwar nie schlecht, aber ich war auch nicht der „Überflieger“ der ich gerne gewesen wäre. Der Wunsch in dieser einen Sache richtig gut zu sein und die Angst es an dieser entscheidenden Stelle nicht zu schaffen verstärkten sich gegenseitig und wurden zu einem giftigen Gemenge. Mit Hilfe eines Coaches ging ich das Problem im letzten Jahr meines Studiums an. Er öffnete mir die Augen für einen Sachverhalt, der sich „self-handicapping“ nennt und half mir dabei mich selbst zu durchschauen. Das eröffnete mir binnen kürzester Zeit einen völlig neuen und besseren Umgang mit Prüfungssituationen. Die Symptome reduzierten sich erheblich.

Befürchtungen
Doch damit nicht genug. Durch meine Ehefrau und ihre ganz andere familiäre Prägung wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich regelrecht zu einem Lebensstil der Befürchtung erzogen worden war. Wenn es darum ging, etwas Neues zu wagen, waren Gefahren und mögliche unerfreuliche Ausgänge irgendwie immer ein Thema, dem viel zu viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Damit erlernte ich, mich bei allem auf die (möglichen) Schwierigkeiten zu konzentrieren. Kein Wunder, dass diese dann oft übermächtig wirkten und mich blockierten. Ich hatte der Angst erlaubt ein dauerhafter Ratgeber zu werden. Das hat mich oftmals in die Passivität gedrängt. Während andere immer wieder neue Herausforderungen annahmen, ließ ich lieber die Finger davon und blieb bei dem, was ich schon kannte. Das begrenzte den persönlichen Erfahrungshorizont ungemein und verhinderte Kompetenzen zu erlernen. Mir tut es heute Leid um einige verpasste Chancen.

Im Gespräch mit meinem Mentor bekam ich schließlich von ihm gespiegelt, dass ich fast in jedem meiner Sätze Wendungen wie „ich befürchte…“ oder „ich habe Angst, dass…“ verwende. Zuerst hielt ich das für übertrieben. Als wir weiter redeten fiel es mir aber selbst auf. Ich überraschte mich – im negativen Sinne. Denn abgesehen von der Prüfungsangst, hielt ich mich eben gar nicht für ängstlich. Doch nun lieferte ich mir quasi selbst den Beweis indem ich mir zuhörte und bemerkte, wie sehr Angst mein Leben bestimmte. Mir wurde bewusst, dass mein Selbstbild zu wenig von der Liebe Gottes geprägt war und zu viel von der (oftmals vermeintlichen) Meinung anderer und meinem deutlichen Hang zum Perfektionismus, der nur ein weiterer Ausdruck von Angst ist. Ich kann meine Angst heute sehr genau benennen: Es ist die Angst nicht zu genügen. In ihrer maximalen Ausformung: Gott nicht zu genügen.

Entlastung
Ich glaube, dass Gott diese Selbsterkenntnis genutzt hat um mich frei zu machen. Denn Gott hält dieser konkreten Angst nun ganz gezielt sein Evangelium entgegen. Jesu Aufforderung wie die Kinder zu werden (z.B. Luk 18,15- 17) ist für mich eine enorme Entlastung. Denn Kinder sind unvollkommen. Sie können alles Mögliche nicht, machen ständig Fehler, wissen sich nicht zu beherrschen und haben noch unendlich viel zu lernen. Das hindert sie aber nicht daran, sich selbst für wertvoll zu halten und gute Eltern hindert es nicht daran, sie großartig zu lieben. „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor 12,9), ist ein weiterer Satz, der wie für mich gemacht ist und mir die Angst davor nimmt nicht zu genügen. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der Konfirmationsspruch, den ich ohne Hintergedanken wählte: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Jes 41,10. Einen schöneren Spruch könnte ich mir gar nicht aussuchen. Er ist Wort Gottes, das zu mir passt, wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch.

Heute habe ich alles in allem eine viel positivere Sicht auf die Dinge; bin dankbarer für Herausforderungen und bin trotz einer sehr schlechten Erfahrung in meinem Leben guter Dinge. Meine Lebensfreude und Zufriedenheit sind deutlich gestiegen. Angst kenne ich natürlich immer noch, aber ich weiß sie einzuordnen – als schlechten Ratgeber.