Ausgabe März / April / Mai 2023 Patrick Senner, Wunstorf 

Gesehen werden und die sozialen Medien 

Hey, mein Name ist Patrick Senner und ich bin Landesreferent und GenZ Pastor für den EC Niedersachsen und seit dem Ausbruch der Pandemie habe ich tausende Stunden auf Social Media verbracht, um dort mit jungen Menschen zu arbeiten. Da sein, wo sie sind, war mein Ziel. Denn ihr sozialer Pausenhof, ihre Ablenkung vom stressigen Alltag und Problemen sind Snapchat, Tinder, Instagram und Tiktok. Und ich dachte mir, dass, wenn alle dort sind, ich mitten unter ihnen sein will und muss. Wie Paulus damals den Marktplatz aufsuchte (Apg 17), so suchen viele meiner Freund:innen und ich heute junge Menschen auf ihrem „Marktplatz“ auf. Es ist ein purer Segen, in so wenigen Sekunden unter tausenden von Menschen sein zu können und Leben zu teilen.

Valentina Vapaux, eine Influencerin, schrieb mal: „Wir (die GenZ) sind eine traurige Generation mit fröhlichen Bildern“. Die Generation Z (Jahrgang 1997-2012) ist eine krisengeschüttelte Generation. Viele ihrer Krisen haben kein „danach“ mehr oder kein „wenn XY erst einmal vorbei ist…“. Krisen wie Covid, Kriege, Geflüchtetenwellen oder die Klimakatastrophe werden sie ihr Leben lang begleiten. Eine Generation, die zugleich elektrisiert, hochengagiert, kreativ, politisch und digital am Limit performt. Und dadurch, dass jede globale und persönliche Krise direkt „in der Hosentasche“ ist und so durch das Smartphone ungefiltert auf diese junge Generation einprasselt, leben viele Teens und Jugendliche zugleich in einer völligen Überforderung und Orientierungslosigkeit. 

Wir reden dabei über eine Generation, die oft zuhause allein am Smartphone ist und hofft „etwas“ zu sehen oder gesehen zu werden. Eine Generation, die mehr Zeit mit ihren Influencer:innen verbringt, als mit ihren Freund:innen. Social Media ist dabei alles: Wunderrat, Friedefürst, starker Gott, Ratgeber, Helfer, Freund, Refugium und Quelle des Wissens und Entertainments zugleich. Jede:r kennt immer irgendjemanden, der oder die „es geschafft“ hat bei Social Media ein Star (Influencer, Creator) zu werden. Es gibt immer „die eine Person“ aus der Schule, die eine Reichweite und Sichtbarkeit erlangt hat, die sich doch so viele wünschen. „Mit nur einem viralen Video kannst auch du über Nacht berühmt werden.“ Noch nie war es so einfach und so schwer zu gleich. 

Ich selbst bin auch Creator („Kreator von Inhalten“) und habe manchmal das Gefühl, dass viele von uns versuchen durch das, was sie tun und durch die Resonanz, die sie erhoffen, ihren Wert zu beweisen: „Meine Existenz IST gerechtfertigt, es ist ok, dass es mich gibt. Seht her, es ist sogar gut, dass es mich gibt. Ich habe einen Mehrwert.“ Und dabei wabert unter der Oberfläche ein kapitalistisches System, dass mit unserer Zeit auf den Plattformen Geld generiert. Es ist ein toxisches Spiel mit unseren Herzen. Dopamin und andere Hormone werden nachweislich mit jedem Klick ausgeschüttet. Glück auf Knopfdruck. Sowohl beim Creator, wenn er/ sie Likes generiert, als auch beim User/ Nutzer:in, wenn sie ein oder besser: ihr Herz verteilen kann. Toxisch wird es, weil unser Gehirn mehr von den schnell erreichbaren Hormonausschüttungen will. Immer mehr. Und so nicht mehr zur Ruhe kommt.

Patrick Klingberg (Social Media Experte) sagte mal: „Wir kämpfen alle um Aufmerksamkeit…“ und Xile Zhou, Influencerin und Christin, ergänzte: „…aber keine:r gibt es zu.“ Hunderttausende allein in Deutschland hoffen jeden Tag mit „ihrem nächsten Video“ viral zu gehen und endlich gesehen zu werden. Und doch sind sie einsam in ihrem Zimmer und drehen Video um Video. Es ist eine traurige Generation mit fröhlichen Bildern: Krisengeschüttelt und allein. 

Eine Frau namens Hagar sitzt auch allein. Nicht in ihrem Zimmer, aber dafür hochschwanger in der Wüste und wartet darauf zu sterben (Gen 16). Ein Bote Gottes kommt mit einer doppelten Message: Gott hört dich und er sieht nach dir (Basisbibel). Auch dort, wo ein Mensch einsam ist und eigentlich nur sterben will. Ich glaube dort steckt eine schiere Kraft Gottes für Social Media, wo Menschen merken, sie müssen ihre eigene Existenz nicht mehr rechtfertigen und wo sie gesehen und gehört werden. Social Media ist beides: Fluch und Segen. Sem Dietterle (LKG München), viele andere und ich sind genau deswegen bei Social Media: Weil wir alle diese Versuchungen auch kennen, wollen wir als Pastor:innen mit jungen Menschen digital Leben teilen und Content („Inhalt“) produzieren, der wahres Leben vermehrt. Jim Memory, Leiter der Lausanner Bewegung in Europa sagte zu mir: „Wir sind der Sauerteig auf Social Media. Nicht dabei sein, ist keine Option.“ Sem Dietterle und ich beraten deswegen viele junge Creator:innen, um sie langfristig und nachhaltig gesund auf den Marathon „Social Media“ einzustellen. Sem sagt öfter: „Content is king but context is god“ (Der Inhalt ist König, aber der Kontext ist Gott). Wenn wir als Christ:innen in Gemeinden und auch digital die wirklichen Lebenskontexte von Menschen verstehen, dann erreichen wir auch ihre Herzen/ „Needs“/ ihre Druckpunkte und können, wie die Hagars des 21. Jahrhunderts Freiheit erleben. Hagar wird zurück in ihren Alltag geschickt, aber mit einem veränderten Mindset: Ich brauche meine Existenz nicht rechtfertigen, weil jemand nach mir sieht und mein Leiden hört.