Ausgabe Dezember 2016 / Januar 2017 – Dekan Erwin Lechner, Münchberg

 

Wer war Luther?
Ein unbedeutender, von Selbstzweifeln umgetriebener Mönch in der sächsischen Provinz. Sein Vater hatte sich vom Grubenarbeiter zum Grubenbesitzer hochgearbeitet. Begabt, wie Luther war, beschritt er die Laufbahn eines Theologen und wurde 1512 Doktor und Professor der Theologie in Wittenberg. Er war kein Senkrechtstarter, sondern er suchte grüblerisch nach Gott, nach der Wahrheit und Gerechtigkeit.

 

Im Studium der Bibel, genau- er im Römerbrief des Apostel Paulus (Röm. 3) fand er, besser, begegnete Gott ihm in seinem Wort. Er erkannte, nicht durch Selbstgeißelung und gute Werke muss er seine schlechten Taten und Gedanken ausgleichen, sondern ein über alle Maßen gnädiger Gott holt ihn heraus aus seinen Schuldgefühlen und macht ihn frei davon. Das hat bei dem Mönch Luther alles verändert. Das hat sein Verständnis von Gott und sein Bild der Welt radikal verwandelt.

Dieses Verständnis von Gott war in Luthers Zeit verschüttet. Die neue Sicht hat bei ihm einige Fragen aufgeworfen zur damaligen Kirche, ihrer Hierarchie, dem Ablasshandel und der Seelsorge. Er formulierte seine 95 Thesen, heftete sie am Tag vor Allerheiligen (1. Nov. 1517), wo viele Gläubige in die ablassträchtige Schlosskirche kamen, vermutlich an die Eingangstür der Kirche. Er wollte, wie damals unter Theologen üblich, eine Diskussion anzetteln.

Eine Bewegung startet
Es kam zu einer ganz ungeahnten Bewegung im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Weil Luther nicht widerrief, bannte ihn der Papst am 3. Jan. 1521. Damit schloss er ihn aus der Röm.-Kath. Kirchengemeinschaft aus und bewirkte – obwohl er es noch nicht überblickte – die Trennung der zwei Kirchen bis heute. Auf dem Reichstag zu Worms sollte Luther vor Kaiser und Fürsten des Reiches seine aus der Bibel gewonnene Rechtfertigungserkenntnis widerrufen.

Luther entgegnete, wenn er nicht durch Gottes Wort oder sein Gewissen überführt werde, könne er nicht widerrufen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ – soll Luther darauf gesagt haben. Der Kaiser ver- hängte die Reichsacht am 28. Mai. 1521 und erklärte ihn für vogelfrei. Jeder durfte ihn ungestraft töten.

Auf der Rückfahrt von Worms nach Wittenberg wurde Luther in den thüringischen Wäldern offiziell „entführt“ und geheim auf die Wartburg gebracht. Dort übersetzte er in elf Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Ohne Luther kam es in Witten- berg zu Unruhen. Er kehrt zur Befriedung 1522 in die Öffentlichkeit zurück.

Jeder soll die Bibel verstehen
Im September gab er das Neue Testament in der sächsischen Kanzleisprache heraus. Daraus hat sich unser heutiges Deutsch entwickelt. Luther wollte, dass jeder im Land die Bibel verstehen konnte. Nach dem Neuen Testament (1522) brachte er 1534 die ganze Bibel, Altes und Neues Testament, heraus. Nun verstanden in den gottesdienstlichen Lesungen auch die Gottes Wort, die weder lesen noch schreiben, geschweige denn Latein konnten. Vor Luther gab es ca. 70 (Teil-) Übersetzungen der Bibel in einen der deutschen Dialekte. Luthers Ausgabe war geprägt von einer Sprachschöpfungslust. Es fehlt nicht an plastischen Wörtern wie „Feuereifer, Menschenfischer, Morgenland, plappern“ und vielen anderen. Luther zählt bis heute zu den sprachmächtigsten Deutschen. Er hat uns unsere Muttersprache geprägt.

„Wahr ist’s, dass kein Volk auf dem Erdboden so von Gott begnadigt ist wie Deutschland. Denn in unserer Mitte stand der Mann Gottes, Luther, auf, und kein Volk kann sich rühmen, Gottes Wort so hell und allgemeinverständlich, so gewaltig und herzergreifend in seiner Sprache zu haben, wie wir…“ (Wilhelm Löhe, GW 6.1 – im 19. Jahrhundert).

Die Rückbesinnung auf das Evangelium machte auch eine Reform der Gottesdienst-Liturgie nötig. 1523 arbeitete Luther eine evangelische Gottesdienstordnung aus. Ein Jahr später legte er seine Mönchskutte ab – ein Vorgang, der damals unvorstellbar war. 1525 heiratete er, der ehemalige Mönch, eine dem Kloster entlaufene Nonne, Katharina von Bora.

Kritik mit biblischen Argumenten
Luther kritisierte die damalige Institution Kirche mit biblischen Argumenten. Er wollte keine Revolution, sondern eine Reformation. Er löste damit eine gewaltige Bewegung in der Bevölkerung aus. Sogar die sog. „Waschweiber“ fachsimpelten am Waschtrog über Gott und die Welt.

Allein durch Jesus Christus haben wir Gottes Heil – ohne die vermittelnden Priester. Allein die Heilige Schrift informiert uns letztgültig darüber – nicht die römische Tradition. Allein die Gnade Gottes macht mich heil – nicht die Institution Kirche. Allein der Glaube empfängt Gottes Gerechtigkeit – nicht der Ablass oder menschliche Leistungen.

Das wurde von den Menschen so befreiend empfunden, dass damals der weit überwiegende Teil des heutigen Deutschland evangelisch-lutherisch glaubte. Franken war zum allergrößten Teil evangelisch, bevor die Gegenreformation einsetzte. Luther hatte den christlichen Glauben zu seinen Ursprüngen zurückgeführt. Durch die Bindung an das Evangelium wurde Luther frei von Menschenfurcht und der Furcht vor der Institution Kirche und dem Papst. Er forderte das „Priestertum aller Gläubigen“. Durch Glaube und Taufe haben alle Christen die Befähigung „Priester“ zu sein. Lediglich, damit es ordentlich zugeht, erhalten wenige die öffentliche Beauftragung durch die Gemeinde. Luther stellt dadurch die einzelnen Christen unmittelbar vor Gott, ohne dass erst eine Vermittlung durch Priester nötig wäre.

Luther bahnte dadurch der Idee der „Würde des Menschen“ – entsprechend der Schöpfungsgeschichte – den Weg. Die Geisteswissenschaftler seiner Zeit sogen diese Botschaft begierig auf.

Freilich war Martin Luther auch nur ein Mensch, der seine Fehler hatte. In jungen Jahren warb er noch missionarisch um die Juden, im Alter wurde er mürrisch und übel ausfällig über sie.

Bahnbrechend setzte sich die Reformation für Bildung ein. Melanchthon, der Mitarbeiter Luthers, führte das erste Gymnasium in Nürnberg ein. Die breiten Bevölkerungsschichten sollten Bildung erhalten. Luther sorgte sich auch um soziale Belange. So wurde in Leisnig eine Versorgungskasse eingerichtet („Leisniger Kastenordnung“).

Politiker sind verantwortlich
In evangelisch gewordenen Fürstentümern wurde die Macht der katholischen Bischöfe zurückgedrängt. Dadurch entstand ein Machtvakuum. Luther appellierte darum an die Verantwortung der evangelischen Fürsten, für Frieden und Ordnung auch im Bereich der Kirche zu sorgen. Dem kam entgegen, dass 1555 im Augsburger Religionsfrieden bestimmt wurde, dass die Untertanen den Glauben ihrer Territorialherren übernehmen müssen. Wer anders glauben wollte, durfte auswandern. Das hat die deutschen Regionen geprägt bis nach dem zweiten Weltkrieg, als die konfessionell unterschiedlichen Flüchtlinge für Ausgleich sorgten. Das Bestreben des Kaisers und religiöser Gruppen, einen einheitlichen Glauben im Reich zu erzwingen, führte im 17. Jahrhundert zum 30jährigen Krieg (1618 – 1648) mit all seinen verheerenden Folgen. Der Versuch von Herrschern, Religion einzusetzen, um ihre Macht zu festigen, trat in ähnlicher Form im Nord-Irland-Konflikt der 70/80er Jahre des letzten Jahrhunderts auf und verheert heute im vorderen Orient wieder Städte und Länder. Nicht die Religion, sondern die Machtgier der Menschen ist das Problem.

Ein Jesus-Fest
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Jubiläen des Thesenanschlags, des Geburts- und des Sterbedatums Luthers auf evangelisch politischer Seite noch zur konfessionellen Demonstration verwendet. Das Jubiläum zum 500. Thesenanschlag soll dagegen geprägt sein vom Kern der lutherischen Reformation. Das „solus Christus“ – allein Jesus Christus, der uns Gottes Heil vermittelt, soll im Zentrum stehen. Auf diesen alten Kernsatz, können sich heute auch Katholiken einlassen.