Ausgabe Juni / Juli / August 2018 – Oliver Ahlfeld, Gnadauer Referent für Neugründung & Neubelebung

Kürzlich lese ich auf einem Kalenderblatt: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert!“ Obwohl der Satz von Albert Einstein stammt und die Weisheit der Bibel bei mir höheres Gewicht hat, denke ich noch lange darüber nach…

 

Einerseits ist mir klar, dass manche Dinge lieber beim Alten bleiben. Andererseits denke ich an die vielen Veränderungen, die wir aus der Bibel kennen. Der Gedanke trifft auf meine Erfahrungen im Reisedienst. Dutzende Landeskirchlicher Gemeinschaften habe ich kennen und lieben gelernt. Aber darf ich ganz offen sein? Veränderungsbereit waren sie nicht immer. Eher fragend.

Häufige Frage
„Was sollen wir tun?“, ist die Frage, die ich am häufigsten höre. Denn viele Gemeinschaftsleute möchten aufbrechen, neu beleben. Sie fragen nicht, weil sie ahnungslos sind. Es sind erfahrene, Leute mit viel Kompetenz, ich habe höchsten Respekt davor. Aber Fakt ist, dass über einer ganzen Reihe Gemeinschaften diese Frage unbeantwortet schwebt – mal drohend, wie ein Damoklesschwert, mal erfrischend, wie ein Startsignal. Aber welche Antworten gibt es auf die Frage? Meine erste Antwort ist stets eine Gegenfrage: „Vielleicht sollten wir statt etwas zu tun lieber etwas lassen?“ Denn etliche machen viel zu viel. Und wenn Dinge seit Jahren laufen, aber es zeigt sich einfach keine wachsende, vertiefende Tendenz, es wächst nichts hervor, was die Substanz an Glaube und Gemeinschaft erkennbar stärkt – dann könnten wir es mindestens für eine Weile auch lassen. Um andere Bereiche zu stärken. Diejenigen, die sichtbare Frucht bringen.

Konzentriert Gemeinschaft leben
Klingt nach viel Arbeit. Auch das höre ich oft: „Immer noch mehr oben drauf!“. Obwohl man doch schon so viel versucht hat und die Entmutigung um sich greift. Aber es ist ein Irrtum mehr tun zu sollen. Nicht „mehr“ tun, sondern „anders“ tun!

Dafür brauchen wir Analyse. Nicht technisch; nicht geschäftsmäßig, sondern geistlich: Es lohnt ein Blick auf unsere Stärken und vermeintlichen Schwächen („Gaben“), auf unser Umfeld („Kontext“) und auf unser Ziel. So kommt zusammen, was zusammen gehört. Diese drei Bereiche, aktiv bewegt, bringen immer eine Veränderung. Immer. Selbst wenn es Streit gibt, unterschiedliche Meinungen (und die wird es fast immer geben). Auch wenn es lange dauert und wenn es ein mühsamer Weg ist. Vielleicht das Wichtigste: Ein konkretes Ziel. Eine Gemeinschaft formuliert: „Wir wollen uns mit aller Kraft für Familien einsetzen!“ – und dann wird alles in der Gemeinschaft darauf abgestimmt. Eine andere entdeckt: „Wir sind für die Senioren unseres Stadtteils da!“ – und was diesem Ziel nicht entspricht, wird gelassen. Wieder eine andere: „Wir sind die Gemeinschaft mit dem Ziel, dass Kinder in unserem Dorf Jesus entdecken – und das bestimmt unser Gemeinschaftsleben, alle Gruppen, Kreise und Angebote!“. Diese Konzentration ist grundlegend wichtig und dennoch keine große Sache. Es ist ein kreativer Prozess, der geleitet werden muss.

Leitung?
Leiten bedeutet, sich den aktuellen Fragen aktiv zu stellen und sie strategisch zu bewegen, idealerweise im Team. Leiter nehmen zwar möglichst viel mit, setzen aber auch unpopuläre Entscheidungen durch. Ich erlebe keine wachsende Arbeit im gesamten deutschen Raum, in der nicht „leitende Leiter“ bei der Arbeit sind. Das müssen nicht die Prediger sein. Aber Leute, die vorangehen. Sie motivieren, fördern und ermutigen, korrigieren und planen, vor allem: Sie bringen aktiv in die Praxis. Es wird eben nicht nur diskutiert und endlos beraten, es wird auch mal angefangen. Dabei bleibt die wichtigste Komponente des Leiters im Prozess der Neubelebung sein eigenes Herz. Er überprüft seinen Herzschlag: „Bin ich am Wort Gottes? Bin ich gut beraten, hole ich mir Hilfe von außen, bin ich hinterfragbar? Höre, leite und entscheide ich wirklich?“. Mit solchen Leitern geschieht Neubelebung.

Grenzen der Neubelebung
Dennoch: Manchmal stellt sich heraus, dass trotz guter Leitung kein Neubelebungsprozess mehr geht. Wenn eine verbliebene Handvoll Endachtziger eine spritzige Arbeit für junge Familien wünscht. In solchen Fällen – die in den kommenden Jahren massiv zunehmen – muss anders gedacht werden: Haben wir noch Ressourcen, um eine Neugründung zu wagen? Denn Neugründung von Gemeinschaften ist keinesfalls nur eine Suche auf der Landkarte nach dem „schwarzen Fleck“, wo noch keine Gemeinschaft besteht… nein, der „gewöhnliche Pietist“ kann für die Gründung einer Gemeinschaft in Frage kommen! Denn so hat unsere Bewegung angefangen: Durch kleine Kreise, die von gewöhnlichen Leuten gegründet wurden. Sie sind schon jetzt Realität im Gnadauer Raum: In einem ehemaligen Tanzlokal findet ein Gottesdienst statt. Ganz anders als bisher, vollkommen zugeschnitten auf Leute von heute – aber immer mit Jesus mittendrin. Oder in einem Seniorenheim entsteht eine ganz neue, missionarische Bibelstunde. Oder in einem Wohnzimmer entsteht eine neue Gemeinde durch schlichtes Zusammensein, Essen und Bibellesen. All das ist Neugründung ohne Extra-Geld, Extra-Prediger und Extra-Gebäude!

Wie geht das?
Ganz schlicht hören und tun, was Gott möchte. Das ist oft zwar viel anstrengender, als einen eingeschlafenen Betrieb laufen zu lassen und immer wieder auch mit Misserfolg verbunden, wenig verlockend. Dennoch: Mut zum Risiko! Mut zur Lücke! Lasst uns wieder fröhlich ausprobieren und irren, versagen und ernten. All das eingebettet in gesunde Wahrnehmung und viel Freude am Kommunizieren. Vergessen wir die Rezepte. Vermeiden wir die Phrasen à la „Mach‘ es so, dann klappt’s!“. Widmen wir uns mehr kreativer Strategie und weniger langweilender Theorie, mehr ermutigendem, gemeinsamem Leben. Und der tiefen Freude an unserer Mission als Christen: Gottes Wort mit den Menschen von heute zu leben und zu teilen, damit sie Jesus kennenlernen und bei ihm bleiben. Dabei entdecken wir, worauf wir uns für die kommenden Jahre einstellen können: Wege gehen mit Menschen, die Jesus (noch) nicht kennen.