Ausgabe September / Oktober / November 2019 – Tobias Wagner, Würzburg

Die „Gabe der Leidensbereitschaft“
Gehören Sie zu den Menschen, die auch im Leid eine positive Lebenseinstellung zeigen? Sind Sie bereit sich Situationen zu stellen, in denen der Glaube auch mit persönlichen Opfern verbunden sein könnte? Lesen Sie gerne Biographien von Märtyrern oder interessieren Sie sich für Berichte über Christenverfolgung? Herzlichen Glückwunsch, Sie sind ein heißer Kandidat für die „Gabe der Leidensbereitschaft“. Ein Gabentest erklärt: „Während jeder Christ durch Leidenserfahrungen geführt wird, gibt Gott einigen Christen die besondere Gabe, inmitten von noch viel stärkerem Leid eine siegreiche Glaubenseinstellung behalten zu können.“, so Christian Schwarz (Die 3 Farben deiner Gaben. Emmelsbüll, C und P, S. 133). Als Trainingstipp wird vorgeschlagen, sich ganz bewusst Situationen zu stellen, „die andere Christen als zu gefährlich betrachten würden“ (ebd.). Noch zwei weitere Fra- gen und Sie können sich einigermaßen sicher sein, diese Ga- be zu haben. So oder ähnlich arbeiten die meisten gängigen Gabentests. Natürlich wissen die Tests um ihre Grenzen. Sie weisen in den Vorworten und Erläuterungen zu den Tests auch darauf hin, doch geht das dann über allen Fragebögen und dem entdecken neuer und für die meisten Leser auch zu einem gewissen Teil unbekannter und schillernder (Geistes-) Gaben unter.

Ich vermute mal, dass Jeremia sich nicht als mit der Gabe der Leidensbereitschaft begabt ansah oder nach Situationen suchte, um sie zu fördern. Mose befand sich ungeeignet für den Dienst als Leiter des Volkes und Sprachrohr des Willen Gottes, von Josua ganz zu schweigen, und Jona lehnte die Gabe des Missionars gänzlich ab. Und doch waren sie im Auftrag Gottes unterwegs.

Die Gabe der Hingabe
Ich möchte Gabentests nicht generell ihre Daseinsberechtigung absprechen. Wenn sie mit ihrem Gabenkatalog im biblischen Rahmen bleiben und in einem entsprechenden geistlich-seelsorgerlichen Umfeld durchgeführt werden, können sie hilfreiche Anregungen bieten, um über die eigenen Begabungen und Gaben und ihren Nutzen für das Reich Gottes nachzudenken. Gabentests haben in den vergangenen Jahren durchaus ein neues Bewusstsein dafür geweckt, dass Jesus nicht nur beruft, sondern auch ausrüstet. Dem Nutzer sollte aber klar sein, dass solche Testmodelle aus dem betrieblichen Leben kommen, in denen es um die berufliche Zukunft der Mitarbeiter geht. Der späteren Chinamissionarin Gladys Aylward wurde ihre völlige Unbegabtheit für den Missionsdienst von mehreren Missionsleitungen bestätigt. Mose, Jeremia und Jona haben ihre Aufgabe trotz fehlender Gaben angenommen. Diese Beispiele zeigen den Zwiespalt zwischen der persönlichen Bereitschaft, dem Willen Gottes gehorsam zu sein, und den möglichen Ergebnissen eines Gabentest. Gott rüstet seine Nachfolger für ihre jeweiligen Aufgaben mit entsprechenden Gaben aus. Das geschieht aber nicht unbedingt statisch und auf Lebenszeit. Der „Hingabe“ an den Herrn folgt oft- mals erst die „Gabe“ des Herrn für die „Aufgabe“, die der Herr für seine Nachfolger vorgesehen hat.

Die Gabe der Anwesenheit
Übrigens, wer wirklich die „Gabe der Leidensbereitschaft“ trainieren will, dem empfehle ich die verbindliche Mitarbeit in seiner Heimatgemeinschaft, auch wenn sie vielleicht nach außen nicht zu viel hermacht. Es ist eine Gemeinschaft, in der er sich nicht in jedem Bereich so entfalten kann, wie er es gerne möchte und wo er Aufgaben übernehmen muss, weil einfach kein anderer da ist. Dem empfehle ich den Putzdienst, bei dem man sich schmutzige Hände holen kann oder das Tische aufbauen für das nächste Gemeindefest. Es gibt viele Aufgaben, bei denen man weder spezielle Gaben oder eine intensive Geistbegabung braucht. Auch die Gabe der Anwesenheit, der Präsenz ist eine wunderbare Gabe. Da sein, mit anpacken, das Notwendige erledigen. Gerade die verkannten Aufgaben sind wichtig, die auch mal übersehen werden oder bei den Danksagungen bedacht werden mit: „… und wir danken auch allen anderen, die sich für das Gelingen dieses Tages eingesetzt haben“. So lässt sich die Gabe der Anwesenheit trainieren – oder die Gabe der Leidensbereitschaft.