Ausgabe Juni / Juli / August 2019 – Philipp Mauer, Naila

Ein Elend

Paulus spricht mir aus der Seele! „Ich elender Mensch!“. Realistisch betrachtet haben wir nicht viel vorzuweisen. Wir können unsere Erlösung nicht selbst herbeiführen, weil wir immer wieder über die gleichen Stolpersteine der Sünde fallen. Wir sind neidisch, geizig, rechthaberisch, voreingenommen, verurteilend, lieblos, wir hängen in Süchten fest oder verletzen unsere Mitmenschen mit Worten oder Taten. Ein Elend. Paulus erkennt, in was für einer ausweglosen Situation er steckt. Ich stecke in der gleichen Situation fest, komme aus diesem Strudel der Sünde und der Verfehlung nicht raus. Ein Elend. Ich bin ein armer Wurm. Ende der Geschichte.

Die Erlösung

Moment. War es das wirklich? Soll das alles gewesen sein?
Gemeinde – ein Haufen armer, elender Würmer, die versuchen, sich gegenseitig über Wasser zu halten? Manchmal denke ich zwar, wir nehmen uns selbst so wahr, aber wenn wir weiterlesen, entdecken wir den Perspektivwechsel, den Paulus erleben durfte! Wer erlöst mich von diesem Elend? „Gott sei Dank! Jesus Christus unser Herr!“ (Röm 7,25) und weiter: „Also gibt es jetzt für die, die zu Christus Jesus gehören, keine Verurteilung mehr!“ (Röm 8,1). Keine Verurteilung? Das heißt dann ja wohl, ich muss mich auch selbst nicht mehr verurteilen, oder? Genau das ist die Perspektive, die uns Christen gilt! JA, du schaffst es nicht! JA, du hast nichts vorzuweisen, JA, Ich weiß das schon längst, du musst es mir weder täglich sagen noch musst du dich dafür vor mir schämen! Ich weiß es doch schon längst! Wir können unserer Erlösung nichts hinzufügen. Weder durch Selbstkasteiung („ich verzichte auf Genuss, damit Gott merkt, wie ernst es mir ist“), noch mit Selbstmitleid („Ich armer Wurm, ich habe nichts vorzuweisen“) noch durch Selbstverurteilung („ich bin so schlecht, ich weiß gar nicht, was Gott mit mir anfangen will“). Das alles ist menschliche Perspektive. Dieses Denken nach der „menschlichen Natur“, wie Paulus es nennt, bringt uns aber tatsächlich nicht weiter. Im Gegenteil. Es bringt uns immer wieder an den Punkt zurück, an dem wir vor unserer Erlösung standen. Dort stehen wir aber nicht mehr. Wir müssen also auch nicht mehr dorthin zu- rück. Weder in Gedanken noch in Taten. Wir leben als Erlöste. Der Heilige Geist, der in uns lebt, ist ja nicht nur Statist im Schauprozess der Selbstanklage, sondern ist die Kraft aus der heraus wir leben dürfen!

Die Perspektive

Ja, die Sünde ist Teil des Menschlichen. Aber die Frage ist doch, welchen Stellenwert ich ihr einräume. Solange ich mich darum drehe, werde ich keine neue Perspektive einnehmen können. Erst wenn ich den Blick hebe, kann ich weitergehen, ohne zu stolpern und ohne dass mir schwindelig wird. In der Pädagogik weiß man schon lange, dass die defizitorientierte Sicht nicht sehr hilfreich ist! Wichtiger als das Unvermögen und die Schwächen des Kindes sind seine Fähigkeiten, Gaben und Talente. Es ist eine Frage der Perspektive, ob ich sehe, was fehlt oder ob ich sehe was da ist! Und man staunt, wie viel da ist, wenn wir es bewusst suchen und wahrnehmen! Manchmal nervt diese sündige, menschliche Natur. Es ist aber pädagogisch nicht gerade sinnvoll, wenn ich nur auf das schaue, was ich nicht habe und nicht kann! Nein, wir sind erlöst! Das Gesetz hat keine Macht mehr über uns! Wir müssen nicht wieder zurück vor unsere Erlösung gehen! Wir dürfen als Erlöste und als vom Geist Gottes erfüllte Christen unseren Weg gehen! Und je weniger Aufmerksamkeit wir der Sünde schenken, desto weniger wird sie durchschlagen.

Vor Gott stehen wir ohne Sünde da, wenn wir die Vergebung, die Jesus uns anbietet, annehmen. Wieso holen wir diese Sünden immer wieder aus dem Keller? Wieso glauben wir Gott nicht, wenn er uns zusagt, dass wir seine Kinder sind? Miterben seines Reiches? Ja, wir glauben es natürlich eigentlich schon. Aber leider merkt keiner etwas davon. Oft nicht mal wir selbst. Jemand sagte mal in einer Predigt: „Wenn wir das wirklich begreifen, dann hören wir auf für manche Dinge zu beten, weil wir verstehen, dass wir sie schon lange haben!“. Wie schnell rutscht es raus: „Herr sei bei mir!“ – Was wie ein frommer Wunsch klingt ist doch schon lange Realität! Als ich abends meine Töchter ins Bett brachte und sowas in der Art gebetet habe, hat die damals 4-Jährige ganz verwirrt geschaut und gesagt: „Papa, wieso betest du das? Gott ist doch immer bei uns!“. Tja, Kindermund tut Wahrheit kund… Oder kennen Sie dieses Gebet? „Vater, nimm mich an, trotz meiner Schuld!“ – Ja, wie oft denn noch? Das ist doch schon lange passiert! Nehmen wir Gottes Wort wirklich ernst, wenn wir so defizit-orientiert beten?

Die Kraft

Es ist die Auferstehungskraft Gottes, die in uns lebt! Dieselbe Kraft, die Jesus von den Toten auferweckt hat, diesel- be Kraft, die es geschafft hat, das Gesetz zu halten, und zwar ein für alle Mal! Diese Kraft lebt im Heiligen Geist in uns! „Ich elender Mensch?“ Wie kann ein Mensch, in dem die Kraft Gottes lebt Elend sein? Lasst uns die Perspektive wechseln! Weg von der Defizitorientiertheit hin zu dem, was Gott uns schenkt und in uns hinein gelegt hat!