Ausgabe Juni / Juli / August 2021 – Christian Hertel

Wann kann man Lehre eigentlich »gesund« nennen? Wenn sie unseren theologischen, wissenschaftlichen, exegetischen und hermeneutischen Ansprüchen entspricht? Gewiss, es ist nicht egal, wie wir mit der Bibel umgehen. Es braucht eine sorgsame Vertiefung in das Wort Gottes, ein ernstes Ringen um Verständnis und das Vertrauen, dass Jesus selbst uns durch seinen Geist „in alle Wahrheit leiten“ wird (Joh 16,13).

Eine Lehre, die »gesund« ist, wird sich auch im Leben bewähren, auch da, wo wir mit großer Not und Schwachheit konfrontiert sind. Ob ich verstanden hatte, was „Gnade“ heißt, musste sich zum ersten Mal bewähren, als ich als junger Prediger mit nicht einmal 30 Jahren an das Bett eines Sterbenden gerufen wurde. Er hatte erlebt, wie Frau und Tochter verändert wurden, wie ihr Leben neu wurde, weil sie Jesus begegnet waren. Sie hatten Vergebung erfahren und ihre Beziehung zum Vater im Himmel wurde neu. Und sie hatten den Eindruck, dass er sich das auch wünscht, aber »nicht glauben konnte«, dass das Angebot gleichfalls für ihn gilt. Nun musste sich »meine Theologie« bewähren in der Frage, ob ich etwas zu sagen habe, angesichts des Todes und der abgelaufenen Lebenszeit – einem zweifelnden sich vor Gott fürchtenden Menschen. Also habe ich mich vorbereitet, mit Lk 5,31; Röm 4,5; Röm 3,19+20; Röm 7, 18; Jes 53,5; 1. Petr 2,24 und Röm 3, 22b-24. Und was soll ich sagen? Gott ist gnädig! Es war Freude im Himmel – und auf Erden.

Die gleiche Frage stellt sich, wenn die Depression einem Menschen den Glauben raubt und nur Selbstzweifel übrigbleiben. Fällt man dann aus der Gnade? Oder gilt auch hier, wo vielleicht ein ganzes Leben in der Nachfolge plötzlich in Frage steht, dass uns niemand aus SEINER Hand reißen kann (Röm 8)?!

Und es ist die selbe (also die einzigartige immer gleiche) Gnade, die ich zu buchstabieren habe, wenn ich mir selbst nicht oder nur schwer vergeben kann oder wenn ich Menschen begegne, die dieser Gnade noch gar nicht begegnet sind und die so ganz andere Vorstellungen und Werte haben. Von dieser Gnade leben übrigens auch die »Christen«, die ich argwöhnisch taxiere, weil sie »eine andere Erkenntnis haben« als ich. Es bleibt spannend das durchzubuchstabieren.

Mich führt das zu Lukas 6, 36 😉