Ausgabe September / Oktober / November 2022 –  Alexander Pauli, Hersbruck

Diesen Artikel zu schreiben, hat mich echt herausgefordert. Warum? Hörendes Gebet ist seit vielen Jahren ein geflügeltes Wort in der frommen Szene. Wann das „en vogue“ wurde weiß ich nicht mehr. Jedoch habe ich den Eindruck, dass inzwischen genau das bei den meisten Lesern die erwartete Antwort auf die Frage im Titel ist. Das macht mir den Einstieg schwer, da ich trotz oder auch wegen recht umfangreicher Auseinandersetzungen mit dieser Thematik keinen Zugang dazu habe. Alle Versuche endeten nach gewissenhafter Prüfung und trotz aller Offenheit, in der Überzeugung, Gott nicht „so“ reden gehört zu haben. Auch theologisch bin ich vom Grundgedanken des hörenden Gebetes nicht überzeugt. Ich schreibe das nicht, um im Folgenden gegen hörendes Gebet zu argumentieren oder um irgendwen davon abzubringen, der damit glücklich ist. Ich schreibe es in dem Bewusstsein, dass Christen Gott sehr unterschiedlich erleben. Das möchte ich demütig anerkennen und darum auf Rechthaberei verzichten. Ich gehe aber davon aus, dass es mehr Gläubige wie mich gibt, die Gottes Stimme trotz aller Anleitungen zum hörenden Gebet eben nicht hören oder als nichts anderes identifizieren können als nur eigene Gedanken. Trotzdem würde ich meinen Gott niemals stumm oder immerzu schweigend nennen. Wo kann jemand wie ich also mit Gottes Reden rechnen?

1. Gott kann hörbar reden und hat so geredet. Ob er das immer oder bei jedem tut, ist eine ganz andere Frage. Klar ist für mich, dass Gott akustisch hörbar zu etlichen geredet hat. Wie z.B. zu Samuel. Da steht einleitend 1.Sam 3,1 „Zu der Zeit, …, war des HERRN Wort selten und es gab kaum noch Offenbarung.“ Was dann folgte, war also außerordentlich. Samuel schlief und wurde vom Ruf Gottes geweckt. So hörbar, dass er ihn für den Ruf des Priesters Eli hielt, der in der Nähe schlief. Als es dem nach dreimaligem Wecken deucht, es könne der HERR sein, der ruft, antwortet Samuel Gott: „Rede, denn dein Knecht hört.“ Gott ist hier nicht der Angerufene, der antwortet, sondern der, der ruft und Samuel zum Antworten bewegt. Diese Erfahrung ist einerseits überraschend, andererseits ist sie im Erwartungshorizont des Möglichen, weshalb Eli schließlich die richtigen Schlüsse zieht. In dieser Spannung lebe ich auch. Dass Gott zu Menschen akustisch hörbar reden kann, glaube ich. Dass er es bei mir tut, ist zugleich außerhalb meiner Erfahrung und würde mich überraschen, wenn er es denn einmal täte.

Jedoch hat Gott im Laufe der Geschichte so oft und eindrucksvoll zu und durch Menschen und insbesondere durch Jesus gesprochen, dass das was er gesagt hat und die Erzählungen über die Konsequenzen zu einem so umfangreichen wie prägenden Buch, der Bibel, wurden. Das liegt vor, teils als Rede von Gott, teils als Rede über Gott. Seither wird daraus zitiert und Gott und seine Rede damit hörbar.

2. Diese alte Rede Gottes wird rein menschlich durch Rezitation lebendig gehalten, sodass die Erinnerung daran bleibt. Und doch wäre das allein viel weniger als ich meine, wenn ich sage, dass mein Gott heute noch (zu mir) redet. Durch den Heiligen Geist spricht Gott mich mit dem an, was schon seit langem geschrieben steht. Der Gedanke, dass das kein aktuelles Reden ist, greift zu kurz. Denn die Erfahrung ist, dass mich manche Texte der Bibel lange nicht ansprechen. Ich erfahre nicht jedes einzelne Wort zu jeder Zeit als Rede Gottes. Dann können mich aber dieselben Worte zu einem anderen Zeitpunkt treffen und einen lebensverändernden Einfluss auf mich haben. Das würde ich aus Erfahrung gerne als Antwort geben, dass ich mit Gottes Reden rechnen darf, wenn ich mich der Bibel immer wieder neu aussetze, weil Gott durch seinen Geist bewirkt, dass ich mich immer wieder angesprochen und gemeint weiß. Das mag banal klingen, ist es aber nicht. Denn dadurch hat Gott mein Leben bis heute zutiefst geprägt und das Wichtigste dabei ist, ich fühle mich so auch von ihm gesehen und erlebe ihn als jemanden, der mir etwas zu sagen hat. Überdies kann ich mich von Gott auf ganz ähnliche Weise durch den Mund von Menschen angesprochen fühlen. Eine Rede, die ich in Anführungszeichen setzen und wortwörtlich Gott zuschreibe, wird daraus zwar nie, doch komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass Gott mir etwas zu sagen hatte und ich meine verstanden zu haben.

3. Eine weitere Form von Gottes Reden möchte ich hier noch kurz ansprechen. Sucht man in der Bibel nach Gottes Schweigen, stößt man auf einige Texte mit klarem Muster. Schweigen meint dort (z.B. Ps 35,22f. oder Hab 1,13), dass der Mensch angesichts Ungerechtigkeit und Bedrohungen Gottes Hilfe nicht erfährt. Die Aufforderung, er möge nicht schweigen (also reden) meint nicht, dass Gott etwas sagen soll, sondern dass er etwas tun soll – nämlich, das was hilft. Ich ziehe daraus den Schluss, dass Gott überall dort am Reden ist und mir seine Liebe zuspricht, wo ich beschenkt und bewahrt werde und Gerechtigkeit erfahre.

Ja, ich rechne fest mit Gottes Reden, ohne ihn jemals akustisch gehört zu haben.