Ausgabe Dezember 2019 Januar / Februar 2020 – Mario Zuin, Roth Krankenpfleger im Kreisklinikum Roth, Akademisches Lehrkrankenhaus der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg

Von Gott her hat jeder Mensch die Würde mitbekommen, dass er Gottes Ebenbild ist und bleibt – bis Gott „die Menschen lässet sterben und spricht: Kommt wieder, Menschenkinder!“ (Ps. 90,3). Aber wie schnell bewerte und beurteile ich in meinen „alltäglichen Begegnungen“, einen Menschen, eine Begebenheit oder eine Sache, nach dem, was mir „vor Augen ist“? Viel zu selten erlaube ich mir dabei einen zweiten Blick – den ich mir aber selbst immer vom Gegenüber erwarte und wünsche. „Gott sei Dank!“, dass es da noch jemanden gibt, der mir eine weitere Perspektive aufzeigt, wie ich mich und die Welt um mich ansehen kann. „…denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an!“ (1. Sam. 16,7) Du und ich, wir leben davon, dass Gott uns ansieht. Dieser besondere Blick, der das Herz ansieht, heißt in Gottes Augen geliebt zu sein! Er verleiht uns diese eigentliche, tiefe Wertschätzung und Würde, die uns hält, trägt und die bleibt, egal wie wir im ersten Augenschein gesehen und eingeschätzt werden.

An Gottes Sichtweise lernen
So wie Gott mich sieht, das nehme ich mir als Vorbild. Ich will immer mehr und mehr seine Sichtweise lernen und nachahmen („Werdet nun Gottes Nachahmer als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, gleichwie auch Christus uns geliebt und sich selbst für uns gegeben hat“ (Eph. 5,1.2)). Denn durch mein erneuertes Betrachten verändert sich meine Sichtweise und dadurch auch meine Perspektive alles um mich zu beurteilen, wertzuschätzen und zu würdigen.

Es kommt also es immer auch auf meine Perspektive an: Was sehe ich? Wie sehe ich mich und den Anderen. Und sie entscheidet mit, ob ich dabei Negatives, Unschönes, Minderwertiges oder Gutes, Schönes, Wertvolles sehe. Also entscheidet meine Blickrichtung darüber, ob ich meinem Mitmenschen mehr oder weniger Wertschätzung entgegenbringe und welche Würde ich in ihm erkenne. Es entscheidet über meine Art andere zu sehen und damit über mein Denken, meine Haltung und mein Handeln.

Speziell in meinen Arbeitsalltag in der Klinik mache ich immer wieder die Erfahrung, wie wichtig es für meine Haltung und mein Handeln ist. Welche Sichtweise habe ich, wenn ich den Menschen in ihrer besonderen Lebenssituation begegne, mit Krankheit, Leid, Schmerz, Sorgen oder am Lebensende. Sehe ich, z.B. bei einem Menschen mit Demenz, allein „was vor Augen ist“ oder sehe ich nach Gottes Vorbild „das Herz an“?

Menschen mit Demenz
Häufig werden sie unter Verlustgesichtspunkten gesehen: Verlust von Geist, Verstand, Fähigkeiten, Identität, Körperlichkeit, Ordnung, Struktur. Sie gelten als verwirrt, desorientiert, neben der Spur, planlos, pflegebedürftig und nicht mehr gesellschaftsfähig.

Mit diesem Blickwinkel gerate ich in Gefahr, dass der Mensch in meinem Ansehen immer mehr abnimmt und die Demenz das ausschließliche Augenmerk erhält. Als Folge daraus wird der Mensch dadurch zunehmend an meiner Beachtung, Anerkennung, Wertschätzung, und somit auch an Würde verlieren!

Perspektiv-Wechsel – „der HERR sieht das Herz an!“ Aus Gottes Blickwinkel betrachtet heißt das: in meinen Augen bist du geliebt, denn das das Herz wird nicht dement! Und Gottes Ebenbild sind wir, weil Gott uns so sieht, und nicht weil er nach einer bestimmten Leistungsfähigkeit fragt. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. Mose 1, 27). Keine Krankheit und keine Demenz können uns aus Gottes Hand herauslösen. „Ja, ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch unsichtbare Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch gottfeindliche Kräfte, weder Hohes noch Tiefes, noch sonst irgendetwas in der ganzen Schöpfung uns je von der Liebe Gottes trennen kann, die uns geschenkt ist in Jesus Christus, unserem Herrn. (Röm. 8,38.39) Wenn ich mich auf den Perspektivwechsel einlasse, sehe ich in den Mensch, trotz aller Schwachheit als einen Mensch mit Persönlichkeit, Bedürfnissen, Biografie, Herkunft, Familie, Geschichte, Prägungen, Erlebnisse, Erfahrungen, Erinnerungen, Gefühlen, Antrieben, Ressourcen und Fähigkeiten. Da erkenne ich, dass der Mensch manches leider nicht mehr kann, und dass er mein Einfühlungsvermögen, mein Verständnis, meine Rücksichtnahme, meine Kreativität, mich braucht. Und ich kann ihm dadurch Wertschätzung entgegenbringen und seine Würde achten. Dabei mache ich die Erfahrung, dass das auch mir sehr viel Wertschätzung bringt und ich mit der Würde handeln darf, die Gott uns Menschen gibt!

  • Selig, die Verständnis zeigen für meinen stolpernden Fuß und meine lahme Hand.
  • Selig, die begreifen, dass mein Ohr sich anstrengen muss, um alles aufzunehmen was man zu mir spricht.
  • Selig, die zu wissen scheinen, dass meine Augen trüb und meine Gedanken träge geworden sind.
  • Selig, die mit freundlichem Lächeln verweilen, um ein wenig mit mir zu plaudern.
  • Selig, die niemals sagen: „Diese Geschichte haben Sie mir heute schon zweimal erzählt“.
  • Selig, die es verstehen, Erinnerungen an frühere Zeiten in mir wachzurufen.
  • Selig, die mich erfahren lassen, dass ich geliebt, geachtet und nicht allein gelassen bin.
  • Selig, die in ihrer Güte die Tage, die mir noch bleiben, auf dem Weg in die Heimat erleichtern. (aus Afrika)